Ungleichgewichte im Finanzsystem der Eurozone

Die Finanzkrise in der Eurozone

Immer mehr Staaten der Eurozone haben Schwierigkeiten, sich über die Finanzmärkte zu akzeptablen Bedingungen zu refinanzieren.

Als nicht mehr akzeptabel gilt ein Zinssatz von 7% für die 10-jährige Staatsanleihe. Bei dieser Verzinsung muss der Kreditnehmer etwa doppelt so viel zurückzahlen, wie er ausgeliehen hat. Für Eurozone-Staaten mit hoher Verschuldung wird bezweifelt, dass sie – bei zu erwartendem schwachem Wirtschaftswachstum und geringer Inflation – zur Rückzahlung imstande sein werden.

Steigende Zinsen bewirken fallende Preise für Staatsanleihen, was zu Wertberichtigungen in den Bilanzen von Banken und Finanzunternehmen führt, die solche Anleihen halten.

Diese Wertberichtigungen sowie weitere bereits absehbare – wie etwa der 50%-ige Schuldenerlasses für Griechenland – erfordern Stärkungen der Eigenkapitalbasis für systemisch wichtige Eurozone-Banken.

Zugleich treten für diese vermehrt Liquiditätsprobleme auf, was sich in höheren Geldmarkt- und Interbank-Zinssätzen sowie in verstärkter Verwendung von Kreditsicherheiten ausdrückt (siehe dazu die interessanten Beiträge von Felix Salmon und Isabella Kaminska).

Insgesamt macht das Finanzsystem der Eurozone einen fragilen Eindruck. Es scheint sich in der Nähe eines Abgrunds zu befinden. Es könnte sein, dass ein einziges systemisch relevantes Ereignis, wie z.B. ein ungeordneter Staatsbankrott, der Austritt eines Staates aus der Eurozone, oder die Zahlungsunfähigkeit einer systemisch relevanten Bank ausreicht, um das System in den Abgrund der gefürchteten ‚Debt-Deflation‘ Spirale stürzen zu lassen.

Ein solcher System-Zusammenbruch wäre bei Untätigkeit oder Miss-Management der Verantwortlichen begleitet von Schrumpfung der Wirtschaft, Arbeitslosigkeit und Deflation, sowie von enormer Vernichtung von Wohlstand, wie bereits von Irving Fisher beschrieben.

Einige wesentliche Ungleichgewichte

Sehen wir uns für ausgewählte Staaten der Eurozone an, wie sich Finanzvermögen und Finanzschuld auf die wichtigsten Sektoren verteilen. Wir bedienen uns dazu der Methode des Macro Accounting wie im letzten Posting, wobei wir dieses Mal einige Staaten und Sektoren mehr diskutieren.

Eurozone Sectoral Financial Wealth as Percentage of GDP

Die Grafik zeigt den Eurozone-Durchschnitt, sowie 4 ‚Kernstaaten‘ (Deutschland, Frankreich, Belgien, Österreich) und 4 ‚Peripheriestaaten‘ (Italien, Spanien, Griechenland, Portugal).

Die folgenden Fakten und Ungleichgewichte springen sofort ins Auge:

  1. Eine Staatsverschuldung deutlich über dem Eurozone-Durchschnitt liegt bei 2 Peripherie- (Griechenland, Italien) und 1 Kernstaat (Belgien) vor.
  2. In 2 Peripheriestaaten (Portugal, Spanien) ist der Unternehmenssektor (non-financials) signifikant höher verschuldet als der Durchschnitt.
  3. Der Haushaltssektor ist in fast allen Staaten der wesentlichste Halter von Finanzvermögen. In zwei Peripheriestaaten (Griechenland, Spanien) liegt jedoch ein deutlich geringeres Haushalts-Finanzvermögen vor. In einem Peripheriestaat (Italien) und einem Kernstaat (Belgien) hat der Haushaltssektor ein wesentlich höheres Finanzvermögen als der Eurozone-Durchschnitt.
  4. In 3 Peripheriestaaten (Portugal, Griechenland, Spanien) hält das Ausland (‚Rest-of-the-World‘) einen wesentlichen Teil des Finanzvermögens. In zwei Peripheriestaaten (Spanien, Griechenland) ist dieser Anteil sogar höher als der des Haushalts-Finanzvermögens.
  5. Die Finanzunternehmen halten netto im allgemeinen keinen wesentlichen Anteil an Finanzvermögen.

Wie könnten die erkannten Ungleichgewichte korrigiert werden?

Anmerkung: In diesem Beitrags beschränken wir uns ausschließlich auf die finanzielle Sicht des ‚Rebalancing‘ und weisen ausdrücklich darauf hin, dass zahlreiche andere ‚Rebalancing‘-Fragen, wie etwa zu Gerechtigkeits-Aspekten und zum politischen Prozess, ebenfalls von großer praktischer Relevanz sind.

Aus der vorigen Auflistung von Ungleichgewichten bieten sich folgende Korrekturen an, um zu einem wirkungsvollen Rebalancing der Eurozone-Ökonomien zu gelangen (wir orientieren uns dabei am Maastricht-Kriterium einer Ziel-Staatsverschuldung von 60% des GDP):

  1. Italien: Financial Wealth wird vom Privatsektor zum Öffentlichen Sektor übertragen. Die tendenziell zu hohe Verschuldung des Unternehmenssektors (non-financials) muss ebenfalls beachtet werden.
  2. Spanien: Es ist zu erwarten, dass die zu hohe Verschuldung des Unternehmenssektors (non-financials) sich in weiteren Konkursen auswirkt, die dann wiederum den Finanzsektor belasten. Da der Finanzsektor teilweise ‚Too Big to Fail‘ ist, könnten dessen Schulden über eine ‚Bad Bank‘ letztendlich beim Staat landen, der allerdings ohnedies schon mit hohen Zinsen auf den Märkten zu kämpfen hat. Ein Rebalancing kann meiner Meinung nach nicht gelingen, wenn nicht auch der hohe Anteil des ausländischen Finanzvermögens drastisch reduziert wird. Der Haushaltssektor kann zur Aufarbeitung der Schulden-Problematik insgesamt nur wenig beitragen.
  3. Portugal: Ist bezüglich des Unternehmenssektors ähnlich wie Spanien zu sehen. Einer höheren Staatsverschuldung steht hier ein höheres Haushalts-Vermögen gegenüber. Bemerkenswert aber auch hier der hohe Anteil des ausländischen Finanzvermögens, das zum Rebalancing in irgendeiner Weise wohl herangezogen werden muss.
  4. Griechenland: Die hohe Staatsschuld kann durch einen äusserst schwachen Haushaltssektor nicht rückgeführt werden. Ohne einer Heranziehung des ausländischen Finanzvermögens ist eine Lösung des Staatsschuld-Problems nicht vorstellbar.
  5. Kernstaaten: Diese haben sich dazu verpflichtet, sich weiterhin den Marktkräften im Staatsanleihen-Markt voll auszusetzen und versuchen zunächst mit Schuldenbremsen u.a.m. Gott Markt gnädig zu stimmen. Sie sollten sich jedoch auch darüber im Klaren sein, dass es zur Lösung der Eurozone- Ungleichgewichte der Bereitschaft bedarf, ihr Finanzvermögen in Peripheriestaaten zu reduzieren.

Abschließende Bemerkung
Es zeigt sich, dass die Methode des Macro Accounting für eine fundierte Beurteilung der Finanzkrise in der Eurozone unerlässlich ist, wobei wir uns in diesem Beitrag ausschließlich mit grundsätzlichen Ungleichgewichten bei ’stocks‘ befasst haben.

Wir behalten uns die Behandlung von ‚flow‘-Ungleichgewichten, sowie eine politische Würdigung möglicher Lösungsansätze für zukünftige Postings vor.

Zur Vertiefung des Themas empfehle ich Dir, geneigter Leser, noch zwei aktuelle Texte von Nouriel Roubini, dem vielleicht besten Analytiker von Stock- und Flow-Ungleichgewichten in der Eurozone:

3 Kommentare

Eingeordnet unter Geld und Kredit, Krise des Kapitalismus, Macro Accounting, Markt für Staatsanleihen, Public Debt, Wirtschaftswachstum

3 Antworten zu “Ungleichgewichte im Finanzsystem der Eurozone

  1. Hallo Gerold,
    ..wie immer versuchst du den Dingen auf den Grund zu gehen.
    Aus meiner Erfahrung des Unternehmers und Anlegers,bestätigt sich klar:
    Jeder Kapitaleinsatz über dem realen % Wirtschaftswachstum
    ist mit Risiko und Arbeit verbunden.
    Und das ist auch gut so !!
    Back aus der Realwirtschaft
    mit besten Grüßen
    Stefan
    (bitte schick mir das weiter,sehr interessant)

    • Hallo Stefan,
      danke für das Feedback aus der real existierenden Wirtschaft, mit Risiko und Arbeit und allem was dazugehört …
      Informiere dich gerne wieder persönlich über neue Beiträge. Du kannst dies auch über ein automatisches E-Mail erreichen, wenn du beim Kommentieren das entsprechende Kästchen unterhalb des Kommentarfelds markierst.
      Gerold

  2. Alfred Felsberger

    Hallo Gerold,

    Was bis dato zu wenig ins Bewusstsein dringt, ist die Tatsache, dass die Insolvenz Griechenlands bereits eingetreten ist. Mit schönfärberischen Begriffen (geordnete-ungeordnete Insolvenz) wird über den Sündenfall
    hinweggelogen. Doch die Wirklichkeit kennt eine solche Unterscheidung nicht: Insolvenz ist Insolvenz.

    Dem Kapital wurde Unzumutbares zugemutet: ein Staatskonkurs. Etwas, was seit 1945 als undenkbar galt, zumindest im Bereich der OECD. Die Reaktion der Investoren liegt auf der Hand: Sie müssen das Risiko der Staatsanleihen neu bewerten. Zu dem einstigen Zinsrisiko gesellt sich das Insolvenzrisiko hinzu.

    Ein massives Rebalancing der Portfolios ist die Folge: Staatsanleihen werden reduziert, die Zinsen am langen Ende steigen an. Umso mehr sich die Spreads zwischen den Staaten öffnen, desto unkalkulierbarer wird das Währungsrisiko. Fällt die EU auseinander, ist es entscheidend in den zentralen Staaten investiert zu sein.

    Man sieht, wie sich aus dem Sündenfall Griechenland eine Kaskade neuer Risiken öffnet: Zunächst das Insovenzrisiko, dann das Währungsrisiko. Niemand will in einer Lira oder Drachme investiert sein, jeder in der DM, wenn das Undenkbare eintritt. Die Staatsanleihen verlieren den Nimbus der Sicherheit.

    Im Grunde sind das die gleichen Prozesse, wie sie nach der Lehman-Pleite zu beobachten haben. Bis heute haben sich die Anleihen der Banken von diesem Insolvenzschock nicht erholt. Von Beginn an haben die politisch Verantwortlichen die Erfahrungen aus der Lehman-Insolvenz ignoriert. Die Büchse der Pandora wurde auf unverantwortliche Weise geöffnet. Die Kosten der Krise explodieren.

    Alfred

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