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Zypern – Das Nachbarhaus wird abgebrannt

„Après moi le déluge! [Nach mir die Sintflut!] ist der Wahlruf jedes Kapitalisten und jeder Kapitalistennation.“
(K.Marx: Band I., MEW 23, S.285)

Herbst 2008: Die Commerzbank wird vom deutschen Staat in einer Nacht-und Nebel-Aktion geschlossen. Alle Einlagen unter 100.000.- Euro werden zur Deutschen Bank transferiert, alle darüber in eine „Bad Bank“, die abgewickelt wird. Voraussichtlicher Verlust für die Betroffenen: 40 – 80% der Einlagensumme. Die Schwankungsbreite der zu erwartenden Verluste ist enorm, die Unsicherheit groß, viele Betroffene werden erst in Jahren das Ausmaß des Schadens erfahren. Alle Einlagen der Deutschen Bank, sofern über 100.000.- Euro, werden an der Erhöhung ihrer Eigenkapitalquote auf 9% beteiligt. Auch hier ist der Verlust nicht kalkulierbar, er wird wohl irgendwo zwischen 20 und 30% der Einlagensumme liegen. Gesamtergebnis: Hunderttausende in- und ausländische Kunden werden von einem Tag auf den anderen enteignet.

Wäre eine derartige Vorgangsweise in Deutschland denkbar gewesen? Gibt es irgendeinen Staat in der westlichen Welt, der die Einlagen zur Sanierung einer Bank heranziehen würde? Würde eine politische Partei es wagen so zu verfahren? Und was hätte sie bei den nächsten Wahlen zu erwarten? Antwort: Kein demokratischer, westlicher Staat, keine politische Partei könnte so verfahren ohne ihre Existenz zu gefährden. Die Bürger würden in Scharen protestieren, ihr Geld beheben und die Verhältnisse destabiliseren. Woraus zu schließen ist: Die EU ist kein westlicher Staat, sie ist nicht demokratisch, sie hat sich für ihre Vorgangsweise nicht zu rechtfertigen und hat keine Konsequenzen zu erwarten. Woraus ferner zu schließen ist: die EU ist ein Projekt, wo die Mehrheit einem einzelnen Staat ihren Willen aufzwingt.

Nur: was ist der Wille der Mehrheit? Er ist aller Rettungs-Rhetorik zum Trotz: Nicht für die Schulden anderer einstehen zu müssen. Was heißt: das eigene Haus zu löschen, wenn es brennt, aber nicht das Nachbarhaus. Wenn alle nur für ihre eigenen Verhältnisse haften wollen, und nicht für die der anderen, dann wird die Mehrheit immer entscheiden: den betroffenen Staat im Regen stehen zu lassen. Das ist die EU, ein Staatenbund mit starkem Eigeninteresse der einzelnen Staaten. „Nach und neben mir die Sintflut“ schreit die Mehrheit und lässt das Nachbarhaus abbrennen, eins um das andere, bis das Feuer an seine eigene Tür dringt. Der demokratische Wille des einzelnen Staates verformt sich im Staatenbund zum totalitären Willen der Mehrheit, der durch das Eigeninteresse getragen wird.

Der bürgerliche Verstand weiß nur in seinen eigenen vier Wänden zu leben. Hilfe für andere gibt es nur eines erwarteten Gewinns wegen oder um den Preis der Unterwerfung. Nichts anderes besagt der Artikel 123 AEUV, wonach der „unmittelbare Erwerb von Schuldtiteln von [Mitgliedstaaten] durch die Europäische Zentralbank“ verboten ist. Hilfe darf es für sich genommen nicht geben, findet sie doch statt, muss sie durch eine Rosskur des betroffenen Staates erkauft werden. Die EU ist, eben weil unter kapitalistischen Bedingungen geformt, kein Friedens- sondern ein Kriegsprojekt. Sie unterwirft den Mitgliedsstaat durch von außen aufgezwungene Maßnahmen, vor denen sich ein einzelner und für sich allein agierender Staat hüten würde. Den bürgerlichen Verstand in einen Staatenbund zu stecken, heißt: Feuer zu entfachen, heißt: aus Demokratie totalitäre Verhältnisse gebären, heißt: den Krieg mit anderen Mitteln fortsetzen.

Nur ein Narr glaubt, dass der Verstand wandelbar sei. Er ist und bleibt: partikular und egoistisch. In seiner demokratischen Form erhalten kann ihn nur das Ende der Union.

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Roboter statt Arbeitnehmer (4): Gedankenexperimente zur Prüfung ökonomischer Theorien?

Dies ist der vierte Beitrag unserer kleinen Roboter-Serie. Anbei – zur Bequemlichkeit unser LeserInnnen – die Links zu den bisher erschienenen Beiträgen.

Die Neuauflage der Roboter-Diskussion enthält einige Gedankenexperimente und Zukunfts-Szenarien. Wir halten diese für anregend und widmen ihnen daher dieses Posting.

Orientieren wir uns zunächst an Wikipedia:

„Ein Gedankenexperiment (oder Gedankenversuch) ist ein gedankliches Hilfsmittel, um bestimmte Theorien zu untermauern, zu widerlegen, zu veranschaulichen oder weiter zu denken.“

Dies ist es, was wir wollen: geeignete Gedankenexperimente rund um das Roboter-Thema finden, die uns helfen, ökonomische Theorien besser zu verstehen und weiterzudenken.

Robert Skidelsky

Robert Skidelsky

Mit dem Keynesianer Robert Skidelsky sehen wir das Roboter-Bild als rhetorische Stilfigur, als Metonymie für alle Arten von Automatisierung: Software und softwaregesteuerte Hardware zum Ersatz menschlicher Arbeit. Er fragt zunächst in seinem empfehlenswerten aktuellen Beitrag „The Rise of the Robots“ :

„What impact will automation – the so-called ‚rise of the robots‘ – have on wages and employment over the coming decades?“

Es folgt sein  „Human Robot Mechanics“-Gedankenexperiment

„Imagine a handful of technicians replacing a fleet of taxi drivers and truckers, a small cadre of human mechanics maintaining a full robot workforce, or a single data analyst and his software replacing a bank of quantitative researchers. What produces value in such an economy will no longer be wage labor.“

… mit dem Lösungsvorschlag der fairen Verteilung der Produktivitätsgewinne nebst Arbeitszeitverkürzung:

„If one machine can cut necessary human labor by half, why make half of the workforce redundant, rather than employing the same number for half the time? Why not take advantage of automation to reduce the average working week from 40 hours to 30, and then to 20, and then to ten, with each diminishing block of labor time counting as a full time job? This would be possible if the gains from automation were not mostly seized by the rich and powerful, but were distributed fairly instead.
Rather than try to repel the advance of the machine, which is all that the Luddites could imagine, we should prepare for a future of more leisure, which automation makes possible. But, to do that, we first need a revolution in social thinking.“

Larry Summers

Larry Summers

Der Ökonom und ehemalige US Finanzminister Larry Summers entwickelte zu demselben Thema sein schlichtes „Doer“-Gedankenexperiment und präsentierte auch gleich dessen Konsequenzen, wie Economics Ph.D. Student Owen Zidar im Juni 2012 berichtete:

„At a recent talk at Berkeley, Larry Summers asked us to engage in the following thought experiment.

Suppose that a new technology called “the Doer” will be created tomorrow. Doers can do anything flawlessly. They can build a house, give a massage, or make a guitar.

What would the world of Doers look like?

  1. Cheaper, high quality goods would proliferate.
  2. The price of raw materials would increase as raw inputs for doers would become more scarce and thus more valuable.
  3. People who can think of new things for Doers to do or of new ways for Doers to do things will make a lot of money.
  4. For everyone else, the value of working for an hour will be nearly zero (since Doers can do everything already, no extra value is created). Therefore, hourly wages will go to zero.

Citing 3D printers and Google’s driverless cars, Summers argued that while we aren’t quite living in the world of Doers, we are perhaps 15 or 20% of the way there.“

Paul Krugman

Paul Krugman

Krugman entwirft in seinem Posting „Is Growth Over“ vom 26.12.2012 das folgende  „Fantasy Technology Scenario“

„Consider for a moment a sort of fantasy technology scenario, in which we could produce intelligent robots able to do everything a person can do. Clearly, such a technology would remove all limits on per capita GDP, as long as you don’t count robots among the capitas. All you need to do is keep raising the ratio of robots to humans, and you get whatever GDP you want.“

… und stellt sich folgende Auswirkungen vor:

„Ah, you ask, but what about the people? Very good question. Smart machines may make higher GDP possible, but also reduce the demand for people — including smart people. So we could be looking at a society that grows ever richer, but in which all the gains in wealth accrue to whoever owns the robots.“

In seinem theoretisch relevanten Posting zu „Capital-biased Technological Progress“ von demselben Tag verwendet er ein etwas zweifelhaftes (und von Dean Baker zu Recht kritisiertes) ökonomisches Modell und erreicht damit eine erste interessante Abschätzung der Auswirkungen auf Löhne und funktionale Einkommensverteilung:

„What will the distribution of income be in this case? …

So what happens? It’s obvious from the figure that wages fall relative to the cost of capital; it’s less obvious, maybe, but nonetheless true that real wages must fall in absolute terms as well. In this specific example, technological progress reduces the real wage by a third, to 0.667, while the cost of capital rises to 2.33.“

Wir halten fest:

  • Die Roboter-Gedankenexperimente renommierter Ökonomen beziehen sich auf eine Ökonomie, in der Roboter (eigentlich: software-gestützte Automatisierung) fast alle oder alle Waren und Dienstleistungen besser und schneller produzieren können als der Mensch.
  • Gefragt wird nach der Zukunft von Arbeit und Arbeitszeit, dem Reallohn, sowie der funktionalen Einkommensverteilung, und nach den gesellschaftlichen Transformationen, die wir in dieser neuen Welt eventuell benötigen.
  • Weitere Fragen sollten sich auf die Herstellungskosten für Roboter, sowie auf den Preis der durch Roboter produzierten Waren und Dienstleistungen beziehen.

Was noch weitgehend fehlt, ist der zielgerichtete Einsatz der beschriebenen Gedankenexperimente, um ökonomische Theorien zu untermauern, zu widerlegen, zu veranschaulichen oder weiter zu denken.

Wir wollen dazu beispielhaft einige Fragen äußern und folgen dabei einem chronologischen Ansatz:

Genügend Stoff für kluge Dissionsbeiträge professioneller Ökonomen, sollte man meinen. Man fragt sich, warum diese interessante und relevante Diskussion nicht schon längst im Lichte der herrschenden und alternativen ökonomischen Theorien vertieft wird. Haben die Theorien oder deren Praktikanten etwa so wenig beizutragen?

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Roboter statt Arbeitnehmer (3): Eine von zwei möglichen Erklärungen der fallenden Arbeitseinkommensquote?

Steigende Profite, fallende Arbeitseinkommen

Im seinem zweiten aktuellen Beitrag zum Roboter-Thema vom 9.12.2012 – Robots and Robber Barons – anerkennt Paul Krugman zunächst nochmals ausdrücklich die fallende Arbeitseinkommensquote in den USA.

Paul Krugman

Paul Krugman

„… corporate profits are at a record high. How is that possible? It’s simple: profits have surged as a share of national income, while wages and other labor compensation are down. …“

Er verwirft das Argument, dass stagnierende Löhne im wesentlichen auf ein Verteilungsproblem zwischen den Arbeitnehmern zurückzuführen wären.

„Indeed, recent college graduates had stagnant incomes even before the financial crisis struck. Increasingly, profits have been rising at the expense of workers in general, including workers with the skills that were supposed to lead to success in today’s economy.“

Und sieht zwei mögliche Erklärungen:

„Why is this happening? As best as I can tell, there are two plausible explanations, both of which could be true to some extent. One is that technology has taken a turn that places labor at a disadvantage; the other is that we’re looking at the effects of a sharp increase in monopoly power. Think of these two stories as emphasizing robots on one side, robber barons on the other.“

Krugman gesteht ein, dass er noch keine Meinung zu den beiden möglichen Erklärungen hat, und ruft zu einer intensiven Diskussion auf:

„I don’t know how much of the devaluation of labor either technology or monopoly explains, in part because there has been so little discussion of what’s going on.  … As I said, this is a discussion that has barely begun — but it’s time to get started, before the robots and the robber barons turn our society into something unrecognizable.“

Roboter oder mit monopolistischer Macht ausgestattete kapitalistische Raubritter – ist das die Alternative?

Sicherlich kann der globale Kapitalismus beträchtlichen technologischen Fortschritt für sich in Anspruch nehmen. Es ist ihm jedoch auch anzulasten, dass eine überwältigende Zahl an Menschen nicht oder nur im geringen Ausmaß an seinen Früchten beteiligt werden. Und wohlgemerkt: ich spreche hier nicht von Wachstum als Ideologie, und damit auch von Resourcenvernichtung und Umweltzerstörung, sondern von einem Fortschritt im Dienste der Menschen, wie es das Roboter-Bild ja auch ein wenig signalisiert.

Krugman’s unterschlägt die prinzipiellen Bewegungsgesetze des Kapitalismus und das ‚automatische Subjekt‘

Karl Marx

Karl Marx


Im Kapitel „Die Verwandlung von Geld in Kapital“ im Zweiten Abschnitt von „Das Kapital, Bd. I“ nähert sich Karl Marx in einer berühmten Passage den Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus wie folgt an:

„Die selbständigen Formen, die Geldformen, welche der Wert der Waren in der einfachen Zirkulation annimmt, vermitteln nur den Warenaustausch und verschwinden im Endresultat der Bewegung. In der Zirkulation G – W – G funktionieren dagegen beide, Ware und Geld, nur als verschiedne Existenzweisen des Werts selbst, das Geld seine allgemeine, die Ware seine besondre, sozusagen nur verkleidete Existenzweise. Er geht beständig aus der einen Form in die andre über, ohne sich in dieser Bewegung zu verlieren, und verwandelt sich so in ein automatisches Subjekt. …

Kaufen, um zu verkaufen, oder vollständiger, kaufen, um teurer zu verkaufen, G – W – G‘, scheint zwar nur einer Art des Kapitals, dem Kaufmannskapital, eigentümliche Form. Aber auch das industrielle Kapital ist Geld, das sich im Ware verwandelt und durch den Verkauf der Ware in mehr Geld rückverwandelt. Akte, die etwa zwischen dem Kauf und dem Verkaufe, außerhalb der Zirkulationssphäre, vorgehn, ändern nichts an dieser Form der Bewegung. In dem zinstragenden Kapital endlich stellt sich die Zirkulation G – W – G‘ abgekürzt dar, in ihrem Resultat ohne die Vermittlung, sozusagen im Lapidarstil, als G – G‘, Geld, das gleich mehr Geld, Wert, der größer als er selbst ist.“

Auch in moderner Lesart kann gesagt werden, dass das erste Gesetz des Kapitalismus das Gewinnstreben  ist. Hierfür sind alle legalen, und zu oft auch unmoralische und illegale Mittel recht. Zwanghaft muss aus Geld mehr Geld werden, egal ob durch realwirtschaftliche Tätigkeit oder Finanzspekulation, durch Lobbying für profitable Gesetze, durch ‚Provisionen‘ bei der Vergabe öffentlicher Aufträge und dem Verkauf staatlichen Eigentums, durch Steuervermeidung und Steuerhinterziehung, durch technischen Fortschritt und Raubrittertum, durch Outsourcing und stagnierende Gehälter.

Doch es bedarf der Raubritter nicht, um jedes Jahr aufs Neue den Produktivitätszuwachs den Arbeitnehmern vorzuenthalten und die Arbeitseinkommensquote weiter zu senken. Alle Arten von Kapitalvertretern finden dies selbstverständlich, und häufig spielen auch Arbeitnehmervertreter und Arbeitnehmer mit, um im globalen ‚race to the bottom‘ den Standort zu stärken und vermeintlich Arbeitsplätze zu sichern. Und höhlen damit die Konsumnachfrage weiter aus, und prolongieren die Krise.

Nun, in dieser kleinen Serie beschäftigen wir uns mit Überlegungen zur Hypothese, dass menschliche Arbeit zunehmend durch Roboter ersetzt werden kann, oder – in Krugman’s Worten – mit ‚capital-biased technological change‘. Andere Aspekte des automatischen Subjekts sollen hier also nicht weiter vertieft werden.

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Roboter statt Arbeitnehmer (2): Technologische und marktinduzierte Arbeitslosigkeit

Arbeitslosigkeit, oder wie Marx sagte: „Überschuss an Arbeitskraft“, hat immer zwei Dimensionen: eine technologische und eine auf den Markt bezogene. Die Technologie gibt vor, wieviele Produkte die beschäftigte Menge an Arbeitskraft schafft. Der Markt bestimmt, ob diese Produkte dann auch absorbiert werden. „Überschuss an Arbeitskraft“ entsteht, wenn (bei voller Markträumung) die verwendete Technologie zu wenig arbeitsintensiv ist oder (bei ausreichend arbeitsintensiver Technologie) die Markträumung misslingt. Beide Aspekte sind ineinander verwoben, analytisch tut man gut daran sie voneinander zu trennen.

Die „technologische Arbeitslosigkeit“ tritt ein, wenn trotz Markträumung und Gleichgewicht auf allen Märkten die zur Reproduktion der Gesellschaft notwendigen Produkte von einer Menge an Arbeitskraft produziert wird, die unterhalb der gesamten vorhandenen Arbeitszeitmenge liegt. Es kommt zu einem Überschuss an Arbeitskraft, der seinem Wesen nach technologisch bestimmt ist: Um das Überleben der Gesellschaft zu sichern, bedarf es beim gegebenen Stand der Technologie einfach nicht der Gesamtmenge der vorhandenen Lohnarbeit. Die überschüssigen Lohnarbeiter werden aussortiert und brachgelegt.

„Technologische Arbeitslosigkeit“, für sich betrachtet, ist ein begrüßenswertes Phänomen, besagt es doch nichts anderes als: die technologische Entwicklung der Gesellschaft ist so weit fortgeschritten, dass nicht mehr die gesamte Arbeitskraft zu ihrer Reproduktion erforderlich ist. Menschliche Ressourcen können abgezogen und brachgelegt werden, sei es in Richtung Freizeit, Bildung, Verwaltung oder Kunst. Negativ wird das Phänomen erst dann, wenn die betroffene brachgelegte Arbeitskraft nicht alimentiert wird, wenn sich also mitten in einer reichen und gesättigten Gesellschaft Armut breit macht.

Dagegen ist die „marktinduzierte Arbeitslosigkeit“, besonders unter den heutigen Bedingungen, eine Geißel. Sie besagt nichts anderes als: die vorhandene Technologie und Arbeitskraft wird nicht voll ausgeschöpft, die Kapazitätsauslastung liegt beharrlich unterhalb des Optimums. „Überschuss an Arbeitskraft“ ist hier das Synonym für eine Gesellschaft, die einen hochentwickelten technologischen Apparat mit sich schleppt, für den sie aber keine Verwendung sieht. Eine Gesellschaft also, die Technologie entwickelt, um sie letztendlich nicht zu gebrauchen, ja: zu zerstören.

Diese „marktinduzierte Arbeitslosigkeit“ wird über die Verteilung in das Gefüge hineingetragen, indem die einen, die ausreichend verdienen, nicht ihr gesamtes Einkommen in Nachfrage umsetzen, während die anderen, die gerne nachfragen würden, aufgrund ihres zu geringen Einkommens nicht können. Das durch die Technologie festgelegte Angebot an Produkten wird also durch die Nachfrage restringiert, sodass sich das „Gleichgewicht“ unterhalb des Optimums einpendelt. Überfüllte Lager, überfüllte Märkte, wider Willen brachgelegte Arbeitskraft sind das allgegenwärtige Erscheinungsbild der marktinduzierten Arbeitslosigkeit.

Eine Gesellschaft, die technologisch imstande wäre, Reichtum und Sättigung für alle zu schaffen, kehrt sich solcherart in eine Gesellschaft des Mangels mitten im Reichtum. Ursache und Folge sind ineinander verschränkt: Die Nicht-Alimentierung der Brachgelegten führt zu zusätzlicher Arbeitslosigkeit und Nicht-Alimentierung der zusätzlich Brachgelegten. Die Katze beisst sich in den Schwanz, oder wie es Marx sagte: Das Elend und der Reichtum, „der Lohnarbeiter und das Kapital sind wie Promotheus an den Felsen gefesselt.“ Ihr Schicksal erfüllt sich nur in wechselseitiger Abhängigkeit.

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Roboter statt Arbeitnehmer (1): Rückgang der US Arbeitseinkommensquote trotz Reshoring

Überraschenderweise wurde das alte Thema der möglichen Vernichtung von Arbeitsplätzen durch technologischen Fortschritt gerade durch Paul Krugman im Dezember aus der Mottenkiste geholt und ins Bewusstsein von Berufs- und Amateur-Ökonomen gehoben.

Paul Krugman

Paul Krugman

Unmittelbarer Anlass war ein Artikel von Catherine Rampell, der mögliche Gründe für gelegentlich auftretende Rückverlagerungen von Produktions-Arbeitsplätzen in die USA (‚re-shoring‘) anführt:

  • günstige Energiekosten in den USA
  • kürzere Wertschöpfungsketten
  • bessere Qualitätskontrolle
  • bessere Sicherstellung von geistigem Eigentum
  • stark steigende Reallöhne in China (2010 mehr als dreimal so hoch wie 2000) bei gleichzeitiger Reallohn-Stagnation in ‚entwickelten Staaten‘

Die steigenden Löhne bieten nach Rampell einen großen Anreiz zu weiterer Automatisierung, was wiederum die Rückverlagerung von (wenigen) Arbeitsplätzen in die USA wirtschaftlicher macht:

„The most valuable part of each computer, a motherboard loaded with microprocessors and memory, is already largely made with robots …
As more robots are built, largely by other robots, „assembly can be done here as well as anywhere else,“ said Rob Enderle, an analyst based in San Jose, Calif., who has been following the computer electronics industry for a quarter-century. „That will replace most of the workers, though you will need a few people to manage the robots.“ „

In seinem ersten aktuellen Beitrag zu diesem Thema am 8.12.2012 – Rise of the Robots – stellt Krugman einen Zusammenhang zur fallenden Arbeitseinkommensquote in den USA her:

„What has happened, on the other hand, is a notable shift in income away from labor.“

USA: Arbeitseinkommensquote 1970-2010

USA: Arbeitseinkommensquote 1970-2010
Quelle: Paul Krugman Blog

Eine vergleichbare Entwicklung fand auch in den Staaten der Eurozone statt (siehe dazu unseren Beitrag hier ):

Eurozone-Staaten: Arbeitseinkommensquote 1980-2013

Eurozone-Staaten: Arbeitseinkommensquote 1980-2013
Quelle: economy at risk

Krugman schließt mit unüblicher Selbstkritik nebst Anspielung auf Karl Marx:

„I think our eyes have been averted from the capital/labor dimension of inequality, for several reasons. It didn’t seem crucial back in the 1990s, and not enough people (me included!) have looked up to notice that things have changed. It has echoes of old-fashioned Marxism — which shouldn’t be a reason to ignore facts, but too often is. And it has really uncomfortable implications.

But I think we’d better start paying attention to those implications.“

Wir werden die Diskussion dieses interessanten Themas in einigen Folgebeiträgen vertiefen.

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Mit der Reduzierung der Staatsschuld schrumpft auch das Vermögen !

Wenn man das Gemurkse, das tagtägliche Entstehen krauser Ideen in den Köpfen der europäischen Politik beobachtet, fällt einem ganz spontan Karl Marx ein: „Was beweist die Geschichte der Ideen anders, als daß die geistige Produktion sich mit der materiellen umgestaltet?“ Ja, es hat sich etwas geändert im institutionellen Rahmen der europäischen Geldproduktion, das so verrückten Ideen wie „Haushaltsdisziplin“ und „Schuldenbremse“ Tür und Tor öffnet. Wir müssen in einer Zeit der materiellen Verwirrung leben, die mit der Fehlkonstruktion des eigenen Geldsystems über die Köpfe der Verantwortlichen hinweg Wahnsinnstaten produziert.

Denn was besagt die Idee einer „Schuldenbremse“ anderes als dass die Zahl der Staatspapiere reduziert werden soll? Dass also das, was als Grundlage für sicheren Kredit im gesamten Geldsystem diente, direkt und indirekt gekürzt werden soll? Dass das geschöpfte Geld unmittelbar über die Reduzierung der Staatsschuld und mittelbar über die Reduzierung der kredittauglichen Papiere restringiert werden soll? Dass also der Vermehrung der Zahl, dem Wesen des ganzen Akkumulationsprozesses, eine Grenze gezogen werden soll? Es ist als ob man sich seinen eigenen Tod, die Reduzierung der weissen Blutkörperchen, wünscht.

Seit jeher arbeitet Kapitalismus über die schleichende Ausdehnung der Zahl, was die Vermögen der Menschen mehrt. Nichts anderes besagt Akkumulation als dass sich das Zahlengerüst wie ein Baum nach oben reckt bis es durch die Krise gestürzt wird. Das Auftürmen von Kreditgeld und seine nachfolgende Implosion ist das Wesen des gesamtes Prozesses, in dem sich Zivilisation, die Entwicklung von Technik und Wissen, vollzieht. Doch noch nie hat sich eine Gesellschaft ihr eigenes Ende gewünscht, stets hat sie Regeln und Verhalten produziert, das dem eigenen Gedeihen dienlich ist. Die eigene Existenz ist die Messlatte allen Tuns.

Muss man tatsächlich Marxist sein um das zu begreifen? Muss ein Marxist die Liberalen und Konservativen lehren, dass die Reduktion der Kreditgeldmenge Stockung der Akkumulation bedeutet? Dass mit der Reduzierung der Staatsschuld das Gesamtprodukt und auch das Vermögen der Menschen schrumpft? Müssen die Kritiker die Rolle wechseln und in das Gewand der Apologeten schlüpfen? Verkehrte Welt! Man könnte sich dem Genuss der Selbstzerfleischung hingeben und das Ende des Prozesses herbeisehnen. Doch der intellektuelle Gehalt, die mangelnde Tiefe der Argumente, spornt jeden Modernen, auch einen Kritiker an, dagegenzuhalten.

Schon lange hat die Vorstellung des „Gesundschrumpfens“, der Reduktion der ökonomischen Aktivität durch Schrumpfung der Geldmenge in den Köpfen der Liberalen Hochkonjunktur, aber erst unter dem Regime der gemeinsamen Währung wird es zu einer fanatischen Idee, der auch Konservative begeistert folgen. Denn nichts anderes bedeutet der Euro als dass sich jeder einzelne Staat dem Diktat der Notenbank unterwirft. Er darf sich nicht über die Notenbank finanzieren und jedes Vergehen wird als Regelverstoss geahndet. Nur unter diesem Regelwerk ist der Staat in der Pflicht sein Budget und sich selbst zu schrumpfen anstatt sich der Geldvermehrung zu bedienen.

Man muss dankbar sein, dass die Fanatiker an die Grenzen der Wirklichkeit stossen. Wann immer sie ihr Regelwerk verschärfen und den Staaten noch mehr Disziplin auferlegen, also die Schrumpfung der Zahl durch Sparen oder Schuldenschnitt verlangen, reagieren die Märkte mit Panik. Sie erzwingen eine Reaktion im gegenteiligen Sinne, eine Lockerung der Geldpolitik, eine versteckte oder offene Finanzierung der Staaten durch die EZB. Ja, meine Herren, die Kritiker stehen nun auf der Seite der Märkte, hören auf ihren Pulsschlag, während ihr die kranken Ideen pflegt! Noch erzwingt die ökonomische Wirklichkeit Vernunft.

Materie und Idee stehen in einem bemerkenswerten Verhältnis zueinander. Einerseits ist es das Eurosystem selbst, das die Idee der Schuldenbremse produziert, weil kein Staat für den anderen über die gemeinsame Notenbank haften, weil jeder für sich kalkulieren will. Das lässt die Notenbank in Inaktivität erstarren, zumindest in Bezug auf die Finanzierung der Staaten. Andererseits ist es die verrückte Idee selbst, die die ökonomische Aktivität nach unten schraubt und die Krise virulent werden lässt. Das Ergebnis ist, was wir tagtäglich erleben: Die Notenbank handelt, obwohl sie eigentlich gar nicht handeln will.

Man muss kein Prophet sein, um den Sieg der Vernunft, sprich: der Wirklichkeit, vorherzusagen. In letzter Instanz wird sich das Eurosystem zertrümmern oder den Weg der Integration beschreiten, sodass der Staat wieder über der Notenbank zu stehen kommt und ihm der Weg der Selbstfinanzierung nicht weiter versperrt bleibt. Aber bis dahin hat die Idee unendlich viel Leiden produziert, Vermögensverlust und Arbeitslosigkeit, und die Wirklichkeit vielleicht in einer Art verändert, die uns allen nicht angenehm sein wird. Den Fanatikern muss man vorwerfen, dass sie von dem Zusammenspiel der Kräfte nichts verstanden haben.

Längst haben wir den Punkt erreicht, wo die Märkte aufatmen, wenn sie in den Genuss pragmatischer Geldpolitik kommen und sich zu Tode erschrecken, wenn die radikalen Stimmen laut werden. Das hindert die Sparfanatiker jedoch nicht auch die Wirklichkeit noch uminterpretieren zu wollen, die Beruhigung der Märkte auf ihre Fahnen zu schreiben, wo doch jedes Kind begreift, dass die Dinge umgekehrt liegen. Zu lernen ist ein Verfahren, das Gläubigen fremd ist. Eher noch werden sie im Sinne der Notwendigkeit handeln und trotzdem das Gegenteil behaupten. Ich befürchte: damit werden wir leben müssen.

PS: Dem aufmerksamen Leser ist natürlich nicht entgangen, dass das Marxsche Zitat vollständig heißt: „Was beweist die Geschichte der Ideen anders, als daß die geistige Produktion sich mit der materiellen umgestaltet? Die herrschenden Ideen einer Zeit waren stets nur die Ideen der herrschenden Klasse.“ (Manifest der kommunistischen Partei, MEW 4, S. 480, 1848). So weit möchte ich nicht gehen. In keinem Hirn einer Klasse können die verrückten Ideen der Sparsamkeit geboren worden sein. Gerade wir Kritiker müssen mit gutem Beispiel voran gehen und: lernen.

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Vom Münzgeld zum elektronischen Kreditgeld – eine Polemik

Wir haben uns in der Welt der „Geldzeichen“ (K.Marx) schon sehr, sehr weit ins Abseits bewegt. War die Einlage historisch ein Depositum, so gilt sie heute als Verbindlichkeit der Bank gegenüber dem Kunden. Wie so oft hat die Rechtslage die Metamorphose des Geldes bloß sanktioniert, indem sie es von einer Ware zu einem Kreditverhältnis stempelte.

Um sich die Verrücktheit des Vorgangs vor Augen zu führen, versetze man sich in die Lage eines neuzeitlichen Händlers, der seine Silbermünzen bei einem Bankier hinterlegt und im Gegenzug eine Geldnote erhält. Diese Note mag als Geld zirkulieren und doch war jedem klar, dass es sich nur um einen Stellvertreter, ein Zeichen, handelt.

Man stelle sich ferner vor, dass es der Bankier gewagt hätte mehr Noten als Silbereinlagen auszugeben mit dem Argument, dass die Einlösung der Noten nur sehr sporadisch stattfinde, was ihm erlaube die Zahl der Zeichen zu erhöhen. Der Betrug wäre aufgeflogen und der Tisch des Bankiers wäre von einer wütenden Menge zerbrochen worden („banca rotta“).

Anders heute: Niemand sieht in einer Einlage ein Depositum, das zu verwahren ist und jeder akzeptiert, dass es als Kreditvertrag gehandhabt wird. Die deponierten Geldnoten werden durch eine Buchung bestätigt und jeder wiegt sich in dem Glauben, die Buchung zu jeder Zeit in Bargeld eintauschen zu können. Allein: Die Dinge stehen anders.

Woher kommt diese Selbsttäuschung? Stammt sie aus der Tatsache, dass als Geld heute Noten fungieren und nicht Silbermünzen? Wäre es unsereinem verständlicher, dass die Einlage ein Depositum ist, wenn wir statt des Bargeldes Silbermünzen bei der Bank einzahlen würden? Wohl kaum. Solange wir das Gefühl haben, dass die Bank das Silber liefert, ist die Frage des Geldes irrelevant.

Stammt die Selbsttäuschung aus der Elektronik, aus dem ungeheuren Vorgang, dass die Einlage als bloßes Zahlenwerk mit einem Vorzeichen abgebildet wird? Wäre es uns verständlicher, dass es sich bei der Einlage um ein Depositum handelt, wenn die Bank zu einer handschriftlichen Bestätigung gezwungen würde? Wahrscheinlich, zumindest liegt das der Wahrheit schon näher.

Die Aushöhlung der Einlage, ihre Reduktion auf ein Kreditverhältnis im Bewusstsein der Menschen, hat also irgendwo auf dem Weg zwischen Verbuchung und Elektronik stattgefunden, das heißt zeitlich fixiert: im zweiten Drittel des vorigen Jahrhunderts. Und dieses Bewusstsein wurde institutionell und rechtlich sanktioniert, nicht nur in Bezug auf die Einlage sondern auch durch die Schließung des „Goldfensters“.

Dass aber die Uminterpretation der Einlage in ein Kreditverhältnis den alten Trick der italienischen Bankiers wiederbelebte, ist uns bis heute nicht ausreichend bewusst. Wie damals die Bankiers die Einlage zur Ausgabe von überschüssigen Noten missbrauchten, verwenden sie heute das Depositum für die Eröffnung eines Kreditverhältnisses mit einem Dritten und erhöhen dadurch die Zirkulation der Buchungen.

Geld ist, streng auf Basis des Depositums definiert, die Summe aller Noten und Münzen. Alle Sichteinlagen, die darüber hinaus geschaffen werden, sind Buchungen, privat produziertes, aus dem Nichts geschöpftes Geld. Dass die Bankiers von heute noch weiter als ihre Vorgänger gehen, zeigt der verrückte Vorgang, für dieses Geld auch noch Zins zu verlangen.

Was wäre mit einem italienischen Bankier passiert, der seine ausgegebenen und durch Einlagen nicht gedeckten Noten mit einem Zins versehen hätte? Der es gewagt hätte, auf durch Silber nicht gedecktes Geld, ein Einkommen zu verbuchen? „Banko rotto“ wäre es nicht gewesen, aber mit Sicherheit ein geächteter, wenn nicht bestrafter Bankier.

Wir mögen mit diesem Betrug heute leben, auch weil wir ihn nicht hinreichend verstehen. Nur das Kapital, das sich hart aus der Produktion nährt, hat für diese Art von Geld- und Zinsvermehrung keine Ressourcen über. Mit jedem Jahr, wo das aus dem Nichts geschöpfte Geld die Zinseinnahmen vermehrt, sinkt der Anteil des produktiven Kapitals am Kuchen ab. Und das ist das Drama der heutigen Lage.

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